11.07.2008 von
Thema: Ist 'geschalten' österreichisches Standarddeutsch?
11.07.2008 von
11.07.2008 von System1
Ist 'geschalten' österreichisches Standarddeutsch?
Wurde diese Form von dialektalen Partizipienbildungen übernommen?
Das Partizip 'geschaltet' ist im deutschländischen und im deutschschweizerischen Standarddeutsch korrekt, weil 'schalten' ein regelmässiges Verb ist.
14.07.2008 von Koschutnig
'schalten' war ein mhd."starkes" Verb der Konjugationsklasse VIIa (ursprünglich reduplizierende Verba mit Wurzelvokal a, a:, ei )
Zur 1. Gruppe ( a- vor ll, nn, l + Konsonant, n+ Konsonant) gehörten u.a fallen, schalten, spalten, halten, salzen ....
Die "starke" Präteritumform hat sich im Dialekt erhalten, wird umgangssprachlich vielfach verwendet, gilt aber nicht als korrekt und ist im Schulunterricht ein "schwerer Fehler" - falls die Unrichtigkeit der Form dem Lehrer überhaupt auffällt.
Ähnliches gilt für "(ab-/nach-)gewunken" (ehem. starkes Verb der ablautenden Konjugationsklasse IIIa), während bei z. B. 'salzen' (Klasse VIIa) das ursprünglich starke Präteritum 'gesalzen' auch hochsprachlich noch vorherrscht.
Die Bezeichnung der Verbkonjugationen als "stark" und "schwach" geht auf die Brüder Grimm zurück: Verba, welche die Zeiten aus sich heraus durch Austausch des Stammvokels (="Ablaut") zu bilden vermögen, sind "stark", während andere so "schwach" sind, dass sie gewisse Endungen (-te bzw. -t) benötigen.
Die ablautenden Verba folgten genauso strengen Gesetzmäßigkeiten und waren daher gerade so "regelmäßig" wie die "schwachen".
"Unregelmäßig" hingegen sind sicherlich Verba wie 'sein' (zusammengefügt aus drei verschiedenen Verben), 'gehen' und 'stehen' (aus je zwei einander ähnelnden Verben), während Lautveränderungen innerhalb des Konjugationsschemas grammatikalisch nicht gerechnet werden/wurden: 'brennen -brannte' oder 'senden-sandte' z. B. sind regelmäßig "schwach", da das -e- im Präsens bloß durch i-Umlaut aus -a- (ursprünglicher Infinitiv: 'branjan', 'sandjan') entstanden ist und durch analogen Formenausgleich in alle Präsensformen übernommen wurde.
Anders verhält es sich bei synchroner Sprachbetrachtung, bei der eine Masse als "regelmäßig", eine Minderheit als "unregelmäßig" angesehen wird.
19.07.2008 von Brezi
Was uns heute noch weh tut, kann morgen schon Realität sein.
Ich meine damit, dass ich mich ohne große prophetische Begabung vorauszusagen getraue, dass der Zeitenwechsel beim verb 'schalten' denselben Weg nehmen wird wie bei 'spalten.
'Gespaltet' dünkt heute die meisten seltsam, während, wie richtig festgestellt, 'geschalten' bei Menschen mit hoher Sprachsensibilität als barbarischer Fehler empfunden wird. Anders als beim Vorgängerwort wird diesmal dem ORF eine beträchtliche Rolle als Prozessbeschleuniger zukommen, weil namentlich auf Ö3 kaum noch jemanden interessiert, was in der Schulunterrichtssprache als Fehler geahndet wird. Wer 'nahe des Burgtheaters' und 'Billiglöhne' sagt, 'Was kostet das der Krankenkasse?' oder 'Ziehen Sie sich warm an, weil am Nachmittag werden die Temperaturen schon ziemlich kalt sein", der sagt auch 'geschalten'. Andererseits ist es irgendwie auch konsequenter, wenn entwederalle analogen Wörter diese Metamorphose durchmachen oder keines.
Mir fällt da wieder mein oft strapaziertes Beispiel ein, welches lautet, dass sich 50 % über den Frisör mit ö aufregen, während 'Likör' mit k und ö eine Selbstverständlichkeit ist. Oder schreibt heute noch jemand 'Liqueur"? Schad' eigentlich, denn dann könnte man noch ansatzweise erkennen, dass das frz. Wort von lat. 'liquor' kommt, also eigentlich nichts anderes als 'Flüssigkeit' bedeutet.
Noch einmal zur Endung -en. Weil hier das Wort 'gesalzen' gefallen ist. Ich habe in Fernsehtexten unserer deutschen Nachbarn entdeckt, dass diese zwar von gesalzenen Speisen (auch Preisen) sprechen. Wenn aber vom Bestreuen vereister Fahrbahnen und Gehwege die Rede ist, hört man oft: "Hier wird gesalzt". Solche Veränderungen an lebenden Sprachen sind mir persönlich die liebsten, weil sie mittels lexikaler Aufspaltung zur leichteren Differenzierung ähnlicher Begriffe beitragen. Man vergleiche: gepflegt - gepflogen.
Mischformen zwischen schwachen und starken Verben sind im Übrigen kein Einzelfall in den germanischen Sprachen. Man denke an englisch 'show - showed - shown'.
Was bleibt per saldo von meinem Gewäsch? ein Widerspruch. Was ich als unausbleibliche Veränderung in der nächsten Zukunft voraussehe, stört mich, wenn es die Ö3-Tanten und -Onkel schon jetzt realisieren.
So differenziert kann man Sprache sehen!
21.07.2008 von System1
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Ich danke euch für die aufschlussreichen Antworten. Ich nehme an, sie beziehen sich auf das österreichische Standarddeutsch.
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22.07.2008 von Brezi
Wenn ich bei enigen Beispielen ausdrücklich erwähne, dass man 'es' so in Deutschland sagt, erübrigt sich dort die Frage, ob es sich um standardisiertes Österreichisch handelt.
Was den Rest MEINES BEITRAGES betrifft:
Es ging, um genau zu sein, um das, was man z. B. hierzulande (außerhalb mundartlicher Sendungen) im ORF für Standard hält (ohne auf die Frage näher einzugehen, ob sich die SprecherInnen nach dem Standard gerichtet haben, oder ob es mittlerweile umgekehrt der Fall ist).
Jedenfall habe ich versucht, den Weg nachzuzeichnen, den das Wort 'geschaltet' derzeit in der österreichischen Standardsprache (oder was die Sprechenden dafür halten) nimmt. Desgleichen beziehen sich darauf meine Parallelbeispiele.
Um es ohne strenge Definition, dafür aber anschaulich vor Augen zu führen: das was in österreichischen Gesetzestexten, wissenschaftlichen Arbeiten usw. noch immer (in Einklang mit dem deutschländischen Standarddeutsch) 'geschaltet' heißt, heißt beispielsweise im Wiener Dialekt "gschoitn" bzw. noch urtümlicher: "gschoitnd", manchmal aber auch "gschoitt", was möglicherweise eine Assimilation an die Schriftsprache sein kann.
Ich hoffe, damit ausreichend Auskunft über den Geltungsbereich meiner Ausführungen gegeben zu haben.
Brezi